Gemälde (2020)
Öl auf Leinwand
190 × 360 cm
Mit ihrem Gemälde Beweinung verhandelt Emese Kazár das Thema der Verletzlichkeit mit den Mitteln der Malerei und aus der christlichen Bildtradition heraus. Sie zitiert ein bekanntes Bildmotiv der christlichen Ikonografie – das vom Spätmittelalter bis zum Barock vielfach dargestellte Motiv des vom Kreuz abgenommenen und beweinten Christus, die Beweinung Christi – und interpretiert diese zeitgenössisch neu.
Kazárs Bildmotiv leitet sich aus dem gleichnamigen Gemälde des italienischen Malers Andrea Mantegna (1431-1506) ab und stellt einen Bezug zur christlichen Altarbildtradition her. Aus dem Gemälde des Renaissance-Meisters hat die Künstlerin lediglich einen kleinen Ausschnitt entliehen und diesen bis ins Überdimensionale vergrößert: den durch ein Leichentuch verhüllten Lendenbereich Jesu. Eines der gewaltigsten Ereignisse der Glaubens- und Kulturgeschichte der Menschheit – die Kreuzigung Christi – wird hier ohne die Darstellung von Blut, ohne die Abbildung von Folter- und Tötungsinstrumenten, ohne den Einbezug des Leids der Trauernden spürbar gemacht. Der Fokus auf den verletzlichsten Körperteil des Menschen Jesus erinnert uns an die Verwundbarkeit allen menschlichen Seins.
Das Format und die Größe des Werkes muten an wie ein großformatiges Altarretabel. Die Seitenflügel können jedoch nicht geschlossen werden. Der Tradition der Flügelaltare widerspricht auch die Tatsache, dass sich das einzelne Bildmotiv über alle drei Teile des Triptychons erstreckt. Die extreme perspektivische Verkürzung der Darstellung des Leichnams in Mantegnas Original wird in Kazárs Gemälde zu einem Changieren zwischen Zweidimensionalität und Räumlichkeit. Das Bild bleibt in der Schwebe zwischen Abstraktion und Figuration und ermöglicht einen distanzierten Blick auf die Szene, auf die es durch den kunsthistorischen Bezug verweist.
Text: Emese Kazár