Found-Footage-Videocollage (31:20 min) (2020)

Im Laufe seines Lebens wird jeder mit der Frage nach der eigenen Verletzlichkeit sowie jenerder anderen konfrontiert. Physische und psychische Verletzungen sind unvermeidlicher Bestandteil jeder menschlichen Existenz. Sie hinterlassen Narben, Kerben, Prägungen oder wie es die Alten Griechen nannten: charaktḗr (χαρακτήρ). Es sind diese Prägungen, die uns zu denen machen, die wir sind. So beschäftigt sich die Found-Footage-Videocollage STIGMA mit eben den Verletzungen, die aus zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen resultieren.
Jede Kultur entwickelt Methoden, um mit diesen umzugehen. Dazu gehören rituelle und therapeutische Ansätze der Seelsorge, aber auch das Betäuben von Gefühlen durch z.B. Drogen, Medikamente und Alkohol. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Sigmund Freud die sogenannte Redekur zur Behandlung seelischer Notstände, die wir bis heute als Psychoanalyse kennen. Die in Bild-Ausschnitten gezeigte Form dieser Therapie will allerdings nicht das Leiden des Einzelnen aus-, sondern den Versuch des Verstehens darstellen.
STIGMA entwirft ein Referenzgeflecht rund um das Thema ‚psychischer Stigmata‘, das Empathie als Möglichkeit ins Zentrum stellt und ihre Wirkmächtigkeit demonstriert.
Die Bilder für dieses Werk wurden aus ihren ursprünglichen Kontexten, den originalen Film- und Videomaterialien, herausgetrennt und neu arrangiert. Mit rhythmischen Schnitten zu selbst komponierter Musik entwickelt Dominik Geis eine dynamische Dramaturgie. Mittels Collagen, Reihungen, sich wiederholender Sequenzen und Loops, erzeugt die Arbeit einen Sog, der den Betrachtenden „ins Bild holt“ und so – empathisch – teilhaben lässt. Zu Beginn dieser Videoarbeit sagt eine Stimme: „Feeling is one language common to all men.“ Der Mensch ist ein fühlendes Wesen. Das Fühlen eint uns in dem Maße, wie der unterschiedliche Umgang mit Gefühlen die Macht hat, uns zu trennen. Stigmatisierung macht einsam, Empathie hat die Kraft zu verbinden.

Text: Dominik Geis