Mariä Himmelfahrt: Durch tiefblaue Sphären in lichtgoldene Höhen

Die 1927 geweihte Kirche Mariä Himmelfahrt in Baienfurt bei Weingarten stellt als expressionistischer Sakralbau an sich bereits eine Besonderheit dar: Inmitten der barocken Kirchenlandschaft Oberschwabens gelegen, mutet sie geradezu exotisch an. Während der Außenbau sich zurückhaltend gibt, taucht der fremde Besucher, sobald er das Kirchenschiff betritt, in eine ungewöhnliche und überwältigende Welt ein. Es herrscht ringsum ein dunkles nuancenreiches Blau, das zudem je nach Lichteinfall und Tageszeit ihn als Ultramarinblau, Blaugrün oder Blauviolett umhüllt und verzaubert. Und so bezeichnet die einheimische Bevölkerung ihre Pfarrkirche auch stolz als „unsere blaue Grotte“.

Grundriss
Der Grundriss zeigt einen in Westostrichtung angelegten rechteckigen dreischiffigen Längsbau, ein lediglich angedeutetes Querschiff und einen leicht vorspringenden Vorbau im Westen. Der schmale eingezogene Chor mit quadratischer Grundfläche im Osten wird seitlich von Baukörpern mit ebenfalls quadratischer jedoch kleinerer Grundfläche gerahmt: Im Norden der Turm und im Süden die Sakristei.

Außenbau
An dem gestaffelt gegliederten Baukörper mit hoher ebenfalls abgestufter dreiseitiger Walmbedachung fällt zunächst die Westfassade mit ihrer monumentalen in Parabelform überwölbten Nische auf. Die Fenster betonen mit ihrer extremen Schmalheit die Vertikale. An der Nord- und Südfassade sind sie zu gestaffelten Dreiergruppen zusammengefügt. Die in rötlichem Ocker gefasste Rahmung aller Fenster mit ihren überlängten Laibungen und Stürzen kontrastieren zum hellen Rauhputz und dessen horizontalen Ritzfugen.

Innenraum
Dem schmalen Eingangsraum und dessen Nebenräumen, über die sich die Empore erstreckt, folgt der breite und hohe Gemeinderaum. Jeweils fünf Parabelbögen ruhen auf gestreckten Konsolen und verbinden das Hauptschiff mit den Seitenschiffen. Diese sind so schmal, dass sie lediglich Umgangscharakter haben. Das Gewölbe des Hauptschiffes erinnert an spätgotische Netzgewölbe: Es gliedert sich in seiner Längsachse in vierzehn gefaltete und mit Stabwerk besetzte Flächenbahnen, die von den Gurtbogengesimsen rhythmisch in Teilstücke getrennt sind.
Den um sieben Stufen erhöhten Chorraum trennt wiederum ein parabelförmiger Triumphbogen vom Gemeinderaum. Dieser Bogen wiederholt sich in mehrfacher Abstufung an der Chorabschlusswand, einen Baldachin assoziierend.
Innenraum bestimmende Momente sind Farbgebung und Lichtführung. Im Chorraum fällt, für die Besucher nicht sichtbar, Licht durch die südlichen Chorwandfenster ein.
Die farbliche Gestaltung der Wandflächen ist in doppelter Hinsicht alles andere als eintönig: Die blaue Farbe hellt sich in den Seitennischen, an der Empore und im Bereich der Seitenaltäre zu Grau auf und geht im Chor zu Blau-Violett über. Und der Farbauftrag ist nicht gleichmäßig, sondern mit andersfarbigen Winkelformen bewusst fleckig und diffus gestaltet.

Liturgie und Raum: Zur Ausstattung
Die farbige Wandgestaltung in Blautönen, das Fresko der Chorabschlusswand, die Kreuzwegdarstellungen sowie die Entwürfe für die Glasfenster schuf der Maler Alois Schenk. Blau verweist auf Maria, die Titelheilige der Kirche. Das Gemälde über dem Hauptaltar ist eine Bildsynthese von Mariä Himmelfahrt und Marienkrönung: Hier lichtet sich das ferne Blau, Maria wird von goldgelben Sphären umflutet.
Sowohl die architektonische Formgestaltung mit der Betonung der breiten, die Gläubigen zur Gänze aufnehmenden, und auf den Hochaltar von 1927 ausgerichteten Längsachse als auch das die Ostwand füllende monumentale Gemälde sind Ausdruck damaliger Frömmigkeit und eines gewandelten Gemeindeverständnisses: Die Kirche solle sowohl als Gemeinschaft als auch als Bauwerk ganz auf Christus den König bzw. im Falle der Marienkirchen auf Maria als Königin konzentriert sein.
Die 1999 vom Künstler Joachim Sauter eingefügte Altarinsel mit Ambo und Zelebrationsaltar greift diesen Gedanken auf. Der Altar wurde in Anlehnung an die kristallinen Lampenformen und an das intensive Blau der umgebenden Wände aus dunkelblauem Quarzit gestaltet.
Der Kreuzweg, den Alois Schenk zur Gänze erst 1934 vollenden konnte, zeigt kantige und herbe Gestalten mit gebrochenen und verzerrten Formen. Die rahmenlose Wandmalerei an den Seitenschiffwänden sprengt den Raum.

Architekt
Der Architekt A. Otto Linder (1891-1976) schuf nach dem Ersten Weltkrieg insbesondere im Bistum Rottenburg-Stuttgart Kirchen, die ein neues Liturgieverständnis verkörpern sollten: Im Gemeinderaum rückte er die Stützen nach außen und setzte den erhöhten Chor deutlich davon ab, damit Altar und Kanzel von allen gut eingesehen werden konnten. Nachdem Linder erste Erfahrungen im Kirchenbau unter anderem in Gosbach und Mühlacker gesammelt hatte, konnte er diesen Ansatz in Baienfurt erstmals konsequent umsetzen. Das hier prägende Motiv der Parabel findet sich in seinem Werk z. B. auch bei der Heilig-Kreuz-Kirche (1927) in Kuchen bei Geislingen, bei Mariä Himmelfahrt (1929) in Klein-Süßen bei Göppingen und bei der Taborkirche (1931) in Freudenstadt.

Kirchenmaler
Dem Maler Alois Schenk (1888–1949) hatte das Handwerk der Dekorationsmalerei erlernt, daneben besuchte er Abendkurse an der Stuttgarter Kunstakademie. Seine dortigen Lehrer Christoph Landenberger, Adolf Hölzl und Friedrich von Keller waren allesamt Vertreter des Expressionismus. Besonders herausragend ist sein Kreuzweg in Röhlingen von 1919–1922.

Fazit
Die ausdrucksvolle Architektur mit ihrer Lichtführung und die malerische Gestaltung machen die Kirche einzigartig. Architektur, Malerei und Ausstattung sind bis ins Detail aufeinander abgestimmt und steigern sich gegenseitig in ihrer expressionistischen Wirkung zu einem Gesamtkunstwerk.

Dr. Iris Dostal-Melchinger

Invitation to the vernissage

A warm invitation to the vernissage of the exhibition “Materials Reloaded” by Harald Fuchs!

Christof L. Diedrichs: Relics – a cultural-historical approach
Dieter Luz: Harald Fuchs – friend and companion

This evening introduces the double exhibition “Materials Reloaded” in the Diözesanmuseum Rottenburg and in the Zehntscheuer Rottenburg. The event begins in the Diözesanmuseum, later the Zehntscheuer will also be open. The artist will be present. Registration is required, preferably right here below.

Finissage | »To Know A Form, You Have To Work It«

Artist: Frederick D. Bunsen
Speaker: Prof. Dr. Dirk Baecker, Chair of Cultural Theory and Management, Witten/Herdecke University.

You can watch a recording of the online finissage here directly on our site or on the Youtube channel of the Diocesan Museum Rottenburg.


Treasures from the Sülchen Church - video series

In the video series „Treasures from the Sülchen Church“, theologian and archaeologist Matthias Raidt takes visitors on impressive journeys into the Middle Ages and presents excavation finds from the area of the Sülchen church near Rottenburg, a unique place in southern Germany that has been used continuously as a burial site since the 6th century.

Look forward to exciting discoveries and stories!

Song Recital - Livestream

"The Soul's Long Journey"

Life tells the most diverse stories. However, the feeling of happiness, love, pain and suffering is common to all. As a listener, consider the lyrical I in songs by Schubert, Schumann, Mahler and others, and accompany it through different life situations, culminating in the God-given arrival in the “Saviour’s dwelling place”, paradise.

Musical arrangement:
Andreas Großberger, tenor
Jens Wollenschläger, piano

Duration: approx. 45 minutes

Registration is not necessary.

You can find the link to the livestream directly on the Youtube channel of the Diocesan Museum.

Andreas Großberger, Tenor

Prof. Jens Wollenschläger, piano


St. Meinrad and the Meinrad Trail

Meinrad was born shortly before 800 in Sülchgau near Rottenburg. His parents sent him to the then famous monastery school on the island of Reichenau for education, where he later became a priest and monk. Abbot Erlebald sent the exemplary monk as a teacher to a small monastery on Lake Zurich. But Meinrad felt a great longing for a life of solitude. He moved as a hermit to the southern shore of the lake and around 835 finally to the “Dark Forest”, where he lived for 26 years. Meinrad cultivated an intense life of prayer, was hospitable and gave gifts to the poor who visited him. On 21 January 861, two robbers visited the hermit. Meinrad hospitably entertained them both, but he was slain by them out of greed. Meinrad’s body was taken to the Reichenau and buried there. His relics returned to Einsiedeln for the consecration of the second monastery church in 1039.

In May 2019, Bishop Dr Gebhard Fürst opened a new bicycle pilgrimage route in Rottenburg called the “Meinradweg”. It begins at the Sülchenkirche, the baptismal church of St Meinrad, leads via the Archabbey of Beuron to the World Heritage Site of Reichenau Island and from there via the Benedictine Monastery of Fischingen to the largest place of pilgrimage in Switzerland, the Monastery of Einsiedeln. The approximately 275 kilometres of the Meinrad Trail can be mastered in four daily stages. St. Meinrad is considered the “martyr of hospitality”. So the Meinradweg with its monasteries and cycle path churches invites you to experience hospitality. More information is available at meinradweg.com.

At the opening ceremony of the Meinradweg, Bishop Dr Gebhard Fürst also unveiled a statue of the saint at the Sülchenkirche. The statue was sculpted by Ralf Ehmann from Untersberg marble from the Salzburg area. For some years now, there has also been a relic of St Meinrad in the Sülchenkirche, which was given by the Einsiedeln monastery.