„Verschluss-Sache“ Glauben

Diesen Freitag findet unter dem Titel „Verschluss-Sache“ Glauben ein Gespräch am Kunstwerk mit Christoph Schmitt statt.

Es gibt Erfahrungen, die in Worten oft nicht die Aussagekraft finden, um das erfahrene Geheimnisvolle angemessen auszudrücken. Bilder vermögen auf ihre Art Reflexionsräume zu öffnen, die Menschen dem Mysterium näher kommen helfen, ohne es aufzulösen. Mithilfe der Kunst bleibt im Glauben manches damit nicht einfach eine Verschlusssache, sondern sie bietet gleichsam Schlüssel für eine „Erschluss-Sache“ Glauben.

Im Mittelpunkt des Abends stehen drei Werke des Freiburger Künstlers Tobias Eder.

Moderation: Christoph Schmitt (Institut für Fort- und Weiterbildung der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Rottenburg)

 

 

 


Im Namen der Rose – bis in den Tod

Bei Ausgrabungen hat man Gräber aus dem 17./18. Jahrhundert entdeckt. Darin auch enthalten: Rosenkränze. Matthias Raidt erklärt diese Funde auf seine eigene und sehr interessante Art und Weise.

Das Video ist Teil der Reihe Schätze aus der Sülchenkirche.

Simon Pfeffel

Performance (2021/2022)

In meiner künstlerischen Praxis erschaffe ich Situationen, deren Reiz für mich darin liegt, dass die Entwicklung und das Ziel zu Beginn nicht abzusehen sind, weil Entscheidungen nicht allein von mir getragen werden. Meine Performances sind Ausgangspunkte für menschliche Beziehungen, während derer ich zunehmend passiv werde und die Kontrolle über die Situation Stück für Stück an die Rezipienten abtrete. Im selben Maße entwickelt sich das Verantwortungsbewusstsein dieser Personen und unser Vertrauensverhältnis zueinander, dessen Belastbarkeit über die Dauer meiner Handlungen erprobt wird.

Vertrauen entwickelt sich durch Zeit. Die Enttäuschung wächst durch einen Vertrauensverlust in höherem Maße, als das Vertrauen selbst zuvor wachsen konnte. Doch ein mögliches Scheitern impliziert auch immer einen möglichen Erfolg, und so müssen wir uns abhängig machen, um uns zu entwickeln.
Mittel zu diesem künstlerischen Ziel sind sowohl Einzel- als auch Gruppenperformances, wobei ich bei letzteren nicht selbst als Performer, sondern als Regisseur einer künstlerischen Situation agiere. Im Zentrum meiner künstlerischen Praxis stehen dabei häufig paradoxe Vorannahmen, wie diejenige, dass ich durch künstlerische Werke physisch erfahrbare Nähe trotz einer räumlichen Distanz erreichen will. Dies gelingt mir etwa, indem zehn bis fünfzehn Personen im städtischen Raum einen etwa Faust-großen Stein in der Hand halten. Diesen klopfen die Performer:innen weithin hörbar im Rhythmus ihres Herzschlages auf den steinernen Boden und geben damit etwas Preis, was für gewöhnlich erst durch eine unmittelbare körperliche Nähe erfahrbar wäre. In unregelmäßigen Intervallen wechselt dieser individuell hörbare Rhythmus in einen gemeinsamen Rhythmus aller klopfenden Personen: Der hörbare Herzschlag jedes Einzelnen wird zu einem tragenden gemeinsamen Rhythmus, der ebenso andere Rhythmen, wie den Schrittrhythmus der Passanten, beeinflusst. Individuelles findet sich auf diese Weise in Universellem wieder. Denn der Rhythmus des Herzschlages ist schlicht das, was uns am Leben hält. Die Dauer dieser Handlung bedingt es nun, dass etwas so selbstverständlich unverwüstliches, wie ein Faust-großer Stein, über die Dauer der Handlung zu Staub zerfällt.

Text: Simon Pfeffel


Georg Lutz

Film (17:43 min) (2019)

Prologue
Tragedy of Parndorf
Parndorf (AT)

Am 27. August 2015 wurde in einer Pannenbucht auf einer Autobahn bei Parndorf in Österreich ein Kühllaster mit 71 erstickten Geflüchteten gefunden. Die mittlerweile verurteilte Schlepperbande soll mit bis zu 1000 geschmuggelten Menschen einen Umsatz von 15,5 Millionen Euro erwirtschaftet haben.

Chapter I
Landscape
Lesbos (GR)

Lesbos, die drittgrößte griechische Insel, die lediglich durch eine etwa zehn Kilometer breite Meerenge vom türkischen Festland getrennt ist, war zur Zeit der sogenannten Flüchtlingskrise einer der Hauptankunftsorte für Geflüchtete, die über die Türkei in die Europäische Union gelangten. Allein zwischen 2015 und 2016 erreichten über 600 000 Geflüchtete die Küsten von Lesbos –Unzählige ertranken bei dem Versuch.
Eine Müllhalde in den Bergen von Lesbos zeugt von dieser Tragödie, dort befinden sich nach Schätzungen über 150 000 Rettungswesten, die von Geflüchteten getragen wurden. Laut verschiedener Hilfsorganisationen sind ein Großteil dieser Rettungswesten unbrauchbare Fälschungen.

 

Chapter II
Village
Röszke (HU)

Der kleine Ort Röszke, ganz im Süden Ungarns an der Grenze zu Serbien, stand wegen seiner Lage als Nadelöhr der Balkanroute auf dem Weg nach Mitteleuropa ab 2015 im medialen Fokus. Zeitweise kamen mehrere tausend Menschen täglich durch den Ort. Die ungarische Regierung reagierte darauf mit dem Bau des Ungarischen EU-Aussengrenzzauns. Unter großer internationaler Medienberichterstattungund Protesten wurde die Bahnlinie mit einem Güterwaggon voller Nato-Stacheldraht geschlossen. Anti-Einwanderungsplakate, der martialische Grenzzaun und der halb im Wald versteckte Grenzwaggon zeugen weiterhin von der Geschichte des Ortes.

 

Chapter III
Ocean
Calais (FR) Dover (UK)

Im Jahr 2015 wurde das Flüchtlingscamp Jungle, mit mehr als 9 000 Bewohner:innen, in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais zu einem der wichtigsten Symbole für das politische Versagen im Umgang mit den nach Europa gelangten Geflüchteten. Um sich vor unkontrollierter, illegaler Einwanderung zu schützen, verlegte das Vereinigte Königreich seine Außengrenze in Form von kilometerlangen Grenzzäunen in den Hafenbereich von Calais und verstärkte die Kontrollen von Fahrzeugen, Zügen und Fähren. Hunderten gelang trotz allem die teilweise lebensgefährliche Überfahrt als blinder Passagier. Bis heute (Oktober 2019) halten sich nach Schätzungen immer noch bis zu 1000 Geflüchtete im Großraum von Calais auf. Viele von ihnen campieren bei unzumutbaren Wetterbedingungen im Freien und unternehmen täglich Versuche, illegal nach Großbritannien zu kommen.

 

Epilogue
Centre of the European Union
Westerngrund (GER)

In Westerngrund, einer kleinen Ortschaft in Unterfranken, unweit der Grenze zu Hessen gelegen, befindet sich der aktuelle (Oktober 2019) geographische Mittelpunkt der Europäischen Union. Im Falle eines EU Aus- oder Eintritts eines Landes ändert sich dieser Punkt. Durch den drohenden Brexit, baute die Gemeinde in der sich der neue Mittelpunkt befinden würde, bereits einen Markierungsstein und hisste eine europäische Flagge.

Text: Georg Lutz


Elisa Jule Braun

Videoinstallation (8 min)  / Prints auf Aludibond (variable Größe) (2018–2020)

Bei DEPRESSED ANIMALS werden die Bewegungen von Tieren mit stereotypem Verhalten auf “smart objects” wie Drohnen, Staubsauger und Trolleys übertragen, um schließlich depressive Roboter darzustellen. Die Verhaltensstörungen haben einen wiederholenden und zwanghaften Charakter und dienen keiner Funktion. Diese Anomalien treten häufig in Gefangenschaft auf. Während die Gefangenschaft von Tieren durch den Käfig entsteht, liegt die Gefangenschaft von kinetischen Objekten in ihrer Programmierung.
Weiß auf schwarz abgebildet sind hier die nachgezeichneten Bewegungsmuster der Tiere, die in ihren Käfigen Schlaufen drehen. Diese Grafiken dienen als Grundlagen für die 3D-Animationen.

“Das, was uns an den unproduktiven Routinen der Roboter, am Wiederholungszwang psychisch gestörter Tiere erschüttert, ist schließlich ihre grauenhafte Entsagung produktiver Arbeit im herkömmlichen Sinne. Eine vormals auf Wertzuwachs und Innovation abzielende Handlungslogik kündigt sich nun in den zum Symbol gewordenen Bewegungsschleifen auf. Anstelle dessen: Persistenz, Repetition und Präfiguration. Die nur auf ihre eigene Existenz bezogene Sinnhaftigkeit macht Brauns Wesen zu Gespenstern einer sich entsagenden Zukunft. Ihr Anblick lässt uns fühlen, was Mark Fisher mit der hauntologischen Melancholie beschrieben hat. Der Mensch, das depressed animal.”
Sophia Gräfe über die Arbeit von Elisa Jule Braun

Die Arbeit DEPRESSED ANIMALS bringt anhand eines simplen Konzepts die Verletzlichkeit mehrerer Komponenten auf den Punkt. So zeigt die Arbeit simultan die Verletzlichkeit der Natur, der Technik, des Menschen und schließlich auch des Kapitalismus‘. Letzterer nimmt dabei auch die Rolle des Auslösers ein, da dieser auf die Verletzlichkeit und Ausbeutung von Mensch, Natur und Technik gründet.
Wie verletzlich diese vier Aspekte sind, haben wir in den letzten 1,5 Jahren verstärkt beobacht-en können: Ein Resultat des Anthropozän ist das Corona-Virus, das durch die fehlende Distanz zur Natur auf den Menschen übertragen wurde. Wilde Verschwörungstheorien darüber werden über Technologien verbreitet, die vermeintlich Freiheit und Demokratie versprechen. Die meisten Menschen befinden sich jedoch wochenlang im Lockdown, um andere zu schützen. Sie drehen dort ihre Schlaufen, entweder im Homeoffice oder als Arbeitslose bzw. systemirrelevante Personen. Neben der physischen Gesundheit tritt vermehrt auch die mentale Gesundheit in den Vordergrund. Schließlich zeigt sich der Kapitalismus als instabiles System und fängt an, Risse zu zeigen.

Text: Elisa Jule Braun


Mariä Himmelfahrt: Durch tiefblaue Sphären in lichtgoldene Höhen

Die 1927 geweihte Kirche Mariä Himmelfahrt in Baienfurt bei Weingarten stellt als expressionistischer Sakralbau an sich bereits eine Besonderheit dar: Inmitten der barocken Kirchenlandschaft Oberschwabens gelegen, mutet sie geradezu exotisch an. Während der Außenbau sich zurückhaltend gibt, taucht der fremde Besucher, sobald er das Kirchenschiff betritt, in eine ungewöhnliche und überwältigende Welt ein. Es herrscht ringsum ein dunkles nuancenreiches Blau, das zudem je nach Lichteinfall und Tageszeit ihn als Ultramarinblau, Blaugrün oder Blauviolett umhüllt und verzaubert. Und so bezeichnet die einheimische Bevölkerung ihre Pfarrkirche auch stolz als „unsere blaue Grotte“.

Grundriss
Der Grundriss zeigt einen in Westostrichtung angelegten rechteckigen dreischiffigen Längsbau, ein lediglich angedeutetes Querschiff und einen leicht vorspringenden Vorbau im Westen. Der schmale eingezogene Chor mit quadratischer Grundfläche im Osten wird seitlich von Baukörpern mit ebenfalls quadratischer jedoch kleinerer Grundfläche gerahmt: Im Norden der Turm und im Süden die Sakristei.

Außenbau
An dem gestaffelt gegliederten Baukörper mit hoher ebenfalls abgestufter dreiseitiger Walmbedachung fällt zunächst die Westfassade mit ihrer monumentalen in Parabelform überwölbten Nische auf. Die Fenster betonen mit ihrer extremen Schmalheit die Vertikale. An der Nord- und Südfassade sind sie zu gestaffelten Dreiergruppen zusammengefügt. Die in rötlichem Ocker gefasste Rahmung aller Fenster mit ihren überlängten Laibungen und Stürzen kontrastieren zum hellen Rauhputz und dessen horizontalen Ritzfugen.

Innenraum
Dem schmalen Eingangsraum und dessen Nebenräumen, über die sich die Empore erstreckt, folgt der breite und hohe Gemeinderaum. Jeweils fünf Parabelbögen ruhen auf gestreckten Konsolen und verbinden das Hauptschiff mit den Seitenschiffen. Diese sind so schmal, dass sie lediglich Umgangscharakter haben. Das Gewölbe des Hauptschiffes erinnert an spätgotische Netzgewölbe: Es gliedert sich in seiner Längsachse in vierzehn gefaltete und mit Stabwerk besetzte Flächenbahnen, die von den Gurtbogengesimsen rhythmisch in Teilstücke getrennt sind.
Den um sieben Stufen erhöhten Chorraum trennt wiederum ein parabelförmiger Triumphbogen vom Gemeinderaum. Dieser Bogen wiederholt sich in mehrfacher Abstufung an der Chorabschlusswand, einen Baldachin assoziierend.
Innenraum bestimmende Momente sind Farbgebung und Lichtführung. Im Chorraum fällt, für die Besucher nicht sichtbar, Licht durch die südlichen Chorwandfenster ein.
Die farbliche Gestaltung der Wandflächen ist in doppelter Hinsicht alles andere als eintönig: Die blaue Farbe hellt sich in den Seitennischen, an der Empore und im Bereich der Seitenaltäre zu Grau auf und geht im Chor zu Blau-Violett über. Und der Farbauftrag ist nicht gleichmäßig, sondern mit andersfarbigen Winkelformen bewusst fleckig und diffus gestaltet.

Liturgie und Raum: Zur Ausstattung
Die farbige Wandgestaltung in Blautönen, das Fresko der Chorabschlusswand, die Kreuzwegdarstellungen sowie die Entwürfe für die Glasfenster schuf der Maler Alois Schenk. Blau verweist auf Maria, die Titelheilige der Kirche. Das Gemälde über dem Hauptaltar ist eine Bildsynthese von Mariä Himmelfahrt und Marienkrönung: Hier lichtet sich das ferne Blau, Maria wird von goldgelben Sphären umflutet.
Sowohl die architektonische Formgestaltung mit der Betonung der breiten, die Gläubigen zur Gänze aufnehmenden, und auf den Hochaltar von 1927 ausgerichteten Längsachse als auch das die Ostwand füllende monumentale Gemälde sind Ausdruck damaliger Frömmigkeit und eines gewandelten Gemeindeverständnisses: Die Kirche solle sowohl als Gemeinschaft als auch als Bauwerk ganz auf Christus den König bzw. im Falle der Marienkirchen auf Maria als Königin konzentriert sein.
Die 1999 vom Künstler Joachim Sauter eingefügte Altarinsel mit Ambo und Zelebrationsaltar greift diesen Gedanken auf. Der Altar wurde in Anlehnung an die kristallinen Lampenformen und an das intensive Blau der umgebenden Wände aus dunkelblauem Quarzit gestaltet.
Der Kreuzweg, den Alois Schenk zur Gänze erst 1934 vollenden konnte, zeigt kantige und herbe Gestalten mit gebrochenen und verzerrten Formen. Die rahmenlose Wandmalerei an den Seitenschiffwänden sprengt den Raum.

Architekt
Der Architekt A. Otto Linder (1891-1976) schuf nach dem Ersten Weltkrieg insbesondere im Bistum Rottenburg-Stuttgart Kirchen, die ein neues Liturgieverständnis verkörpern sollten: Im Gemeinderaum rückte er die Stützen nach außen und setzte den erhöhten Chor deutlich davon ab, damit Altar und Kanzel von allen gut eingesehen werden konnten. Nachdem Linder erste Erfahrungen im Kirchenbau unter anderem in Gosbach und Mühlacker gesammelt hatte, konnte er diesen Ansatz in Baienfurt erstmals konsequent umsetzen. Das hier prägende Motiv der Parabel findet sich in seinem Werk z. B. auch bei der Heilig-Kreuz-Kirche (1927) in Kuchen bei Geislingen, bei Mariä Himmelfahrt (1929) in Klein-Süßen bei Göppingen und bei der Taborkirche (1931) in Freudenstadt.

Kirchenmaler
Dem Maler Alois Schenk (1888–1949) hatte das Handwerk der Dekorationsmalerei erlernt, daneben besuchte er Abendkurse an der Stuttgarter Kunstakademie. Seine dortigen Lehrer Christoph Landenberger, Adolf Hölzl und Friedrich von Keller waren allesamt Vertreter des Expressionismus. Besonders herausragend ist sein Kreuzweg in Röhlingen von 1919–1922.

Fazit
Die ausdrucksvolle Architektur mit ihrer Lichtführung und die malerische Gestaltung machen die Kirche einzigartig. Architektur, Malerei und Ausstattung sind bis ins Detail aufeinander abgestimmt und steigern sich gegenseitig in ihrer expressionistischen Wirkung zu einem Gesamtkunstwerk.

Dr. Iris Dostal-Melchinger

Schätze aus der Sülchenkirche – Videoreihe

In der Videoreihe „Schätze aus der Sülchenkirche“ nimmt der Theologe und Archäologe Matthias Raidt die Besucher mit auf eindrucksvolle Reisen ins Mittelalter und stellt Grabungsfunde aus dem Gebiet der Sülchenkirche bei Rottenburg vor, einem im süddeutschen Raum einzigartigen Platz, der seit dem 6. Jahrhundert ununterbrochen als Bestattungsort genutzt wird.

Freuen Sie sich auf spannende Entdeckungen und Geschichten!