Der frühmittelalterliche Bestattungsplatz
Um oder kurz nach 550 n. Chr. wurde am Rande der frühmittelalterlichen Siedlung Sülchen ein neuer Friedhof angelegt, zunächst vielleicht nur als Grablege des lokalen Herrenhofs.
Insgesamt wurden innerhalb der Sülchenkirche 78 Gräber aus der zweiten Hälfte des 6. und dem 7. Jahrhundert erfasst, wobei der Bestattungsplatz sicher im Westen und Süden, eventuell auch im Osten über den heutigen Kirchenbau hinausreicht. Überdurchschnittlich viele Grabbeigaben zeigen klare Bezüge zum fränkischen Reich auf.
Die Alamannen waren im frühen 6. Jahrhundert von den Franken unterworfen worden. Auch wenn man nicht genau weiß, wie die fränkische Herrschaftsübernahme erfolgte, geht man davon aus, dass sich an strategisch günstigen Orten Gruppen von Franken niederließen. Sülchen war in dieser Zeit wohl eine blühende Siedlung an einer wichtigen, noch benutzten Römerstraße und kam für eine solche Ansiedlung infrage. Da die Franken im 6. Jahrhundert bereits Christen waren, verwundert es nicht, dass sich einzelne Grabbeigaben christlich deuten lassen.
Der erste Kirchenbau
Als sicherer Nachweis der frühmittelalterlichen Christianisierung gilt der Bau einer Kirche. In einem Teilbereich des frühmittelalterlichen Friedhofs wurde ein leicht trapezförmiger Saal errichtet, dessen breites Fundament auf einen Steinbau schließen lässt. Der Steinbau wurde spätestens um 680 errichtet, vielleicht auch schon Jahre oder Jahrzehnte früher.
Auf der Ostseite des Steinbaus wurde vor oder spätestens um 750 ein Anbau angefügt, bei dem es sich mit großer Sicherheit um einen eingezogenen Rechteckchor handelte. Damit entstand der charakteristische Grundriss einer früh- bis hochmittelalterlichen Kirche, sodass der Steinbau nun mit Sicherheit auch als Kirche bezeichnet werden darf.
Der zweite Kirchenbau – die Kirche des Grafen Hesso?
Die kleine Kirche, bei der es sich um die Eigenkirche des Ortsherrn und gleichzeitig um die Pfarrkirche der Siedlung Sülchen gehandelt haben dürfte, wurde ohne archäologisch fassbare Veränderung bis in das frühe 11. Jahrhundert genutzt. Dann allerdings wurde sie von einem Neubau abgelöst, der für eine Dorfkirche dieser Zeit ungewöhnlich groß und repräsentativ ausfiel.
Vieles spricht dafür, dass dieser großzügige Neubau durch die Hessonen veranlasst wurde, die seit 1007 als Sülchgaugrafen urkundlich belegt sind. Es entstand eine querschifflose dreischiffige Pfeilerbasilika mit dreiapsidialem Chorabschluss, die schon fast die Abmessungen der spätgotischen Kirche erreichte.
Der dritte Kirchenbau – romanischer Neubau oder Umbau?
In romanischer Zeit erhielt die Sülchenkirche ein neues Gesicht. Ob für den romanischen Kirchenbau nur die Fundamente des Vorgängerbaus oder auch größere Teile aufgehenden Mauerwerks wiederverwendet wurden, ist kaum noch zu beurteilen, da die romanische Kirche für den heutigen spätgotischen Bau fast vollständig abgebrochen wurde. Die wenigen erhaltenen Spolien und weitere ergrabene Ziersteine erlauben eine Datierung des romanischen Baus in den Zeitraum zwischen 1160 und 1180.
Die vorherige Bauform einer dreischiffigen, querschifflosen Pfeilerbasilika mit dreiapsidialem Chorabschluss und deren Abmessungen wurden in der Romanik bei¬behalten. Nur bei der Mittelapsis war zu erkennen, dass hier der Vorgängerbau bis auf die Fundamente abgebrochen und die Apsis neu errichtet wurde. Der Chor nahm im Bereich des Mittelschiffs ein Drittel der Gesamtlänge der Kirche ein – ein für eine romanische „Dorfkirche“ (und spätere Stadtpfarrkirche) erstaunliches Phänomen, das man eher bei Kloster- und Stiftskirchen und großen Stadtpfarrkirchen erwarten würde.
Im Zuge eines späteren Umbaus wurden die beiden Seitenschiffe überwölbt. Das Mittelschiff hat man sich dagegen weiterhin flach gedeckt vorzustellen.
Der spätgotische Neubau
Bei der heutigen spätgotischen Kirche handelt es sich um einen vollständigen Neubau. Dieser wurde auf der beinahe gleichen Grundfläche der zuvor abgetragenen romanischen Vorgängerkirche errichtet. Für das Mischmauerwerk des Neubaus verwendete man das Steinmaterial des bis auf ganz geringe Reste abgebrochenen Vorgängerbaus, nämlich römische Handquader, die schon für den zweiten Bau sekundär verwendet worden waren, und größere Werksteine der dritten, romanischen Kirche, wie insbesondere diverse verzierte bzw. bemalte Spolien nachdrücklich zeigen.
Frühestens um 1447 begann man mit der Errichtung des Glockenturms, des östlich anschließenden Treppentürmchens sowie des Choransatzes. In diesem Bauabschnitt entstanden auch die Nord- und die West¬wand des Langhauses. Nach Fertigstellung der massiven Turmteile bis um 1449/50 wurde bis 1451 das Kirchenschiff mit Dach vollendet.
Es folgte die Erbauung des Chors, der 1454 mit der Fertigstellung des Dachwerks abgeschlossen war.
Eine Ergänzung des 19. Jahrhunderts stellt das oberste Turmgeschoss mit Zeltdach dar.