Stätte der Christianisierung

Die Sülchener Grabungen haben es ermöglicht, tief in die Frühzeit des deutschen Südwestens zu blicken und damit unser Wissen von der Christianisierung Südwestdeutschlands beträchtlich zu erweitern. Die Funde aus rund achtzig Gräbern weisen aus, dass die Gegend um Rottenburg nicht nur seit vorgeschichtlicher Zeit besiedelt war, sondern zu den wichtigen Schauplätzen der Christianisierung Alamanniens zu rechnen ist. Die Grabbeigaben aus dem 6. und 7. Jahrhundert, die der Boden preisgab und die nun im neu errichteten Sülchen-Museum der Öffentlichkeit übergeben werden, illustrieren einen epochalen Übergang: Da findet sich in einem Mädchengrab ein Charonspfennig, der vermutlich der Toten nach vorchristlichem Brauch als Fährgeld für ihre Jenseitsreise mitgegeben wurde, neben frühen christlichen Zeugnissen. So bringen die Kreuzamulette den Glauben an Jesus Christus als den Auferstandenen zum Ausdruck und lassen eine sich allmählich ausbreitende österliche Hoffnung erkennen.

Zu den frühmittelalterlichen Grabungsschätzen, die auffällige Bezüge nach Burgund und zum Frankenreich aufweisen, gehören kostbar verzierte Gürtelschnallen, Schwerter, Messer und Lanzen aus Männer- und Knabengräbern sowie reichhaltiger Frauenschmuck mit Kämmen aus Bein, Perlenketten aus schillerndem Farbglas und Fibeln. All diese Funde faszinieren uns zweifach: Sie öffnen ein Fenster in die Alltagswelt der Menschen dieser fernen Zeit und berühren zugleich eine Menschheitsfrage, die über den Wechsel geschichtlicher Epochen hinaus nichts an Aktualität verloren hat – die Frage nach Tod und Jenseits, nach dem „Was kommt danach?“

Gang durch die Epochen

Nicht nur die Zeit des frühen Christentums wird durch die Sülchener Funde gegenwärtig: Auch die nachfolgenden Epochen haben markante Spuren ihrer Frömmigkeit und ein reiches Kunsterbe hinterlassen. Um 1000 wurde anstelle der ersten Kirche (um 680) eine dreischiffige Pfeilerbasilika mit dreiapsidialem Chor erbaut. Dieser Bau war Teil des kulturellen und geistigen Aufschwungs der Ottonenzeit, für den großartige Kunstwerke charakteristisch sind. Liturgie, Kunst und der Anspruch auf herrschaftlich-sakrale Repräsentanz durch Kirchenarchitektur machten „einen großen Sprung“ nach vorn. Dieser in Sülchen durch das Adelsgeschlecht der Hessonen eingeleitete Aufschwung wirkte bis in die Romanik nach. Der heutige Bau der Sülchenkirche stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und atmet noch ganz die Atmosphäre städtisch spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Jenseitsvorsorge.

Das Bauwerk enthält außerdem wichtige Kunstzeugnisse des Barock – etwa die Gemäldeepitaphien Rottenburger Adels- und Bürgerfamilien aus dem 17. Jahrhundert. Die andauernde Bestattungstradition zeigt sich anhand zahlreicher Gräber jener Epoche, die wiederum kulturgeschichtlich bedeutsame Funde hervorbrachten: So lassen die Priestergräber den Wandel von Amts- und Heiligkeitsidealen verfolgen.

Gleiches gilt für die Laien- und Volksfrömmigkeit, deren Entwicklung anhand zahlreicher barocker Grabobjekte – darunter Schabfiguren, Heiligenmedaillons, Sebastianskreuze und Votivfiguren – anschaulich wird.

Fast ein Jahr ist seit der Wiedereröffnung der Sülchenkirche in Rottenburg vergangen. Seither können Besucher die Grabkammer mit den verstorbenen Bischöfen besuchen und Schätze aus vergangenen Zeiten bewundern. Trotz der Wiedereröffnung gingen die Untersuchungen an den Ausgrabungsschätzen weiter, einige davon durften wir im September 2018 betrachten.