Umfangreiche archäologische Ausgrabun­gen ab 2012 führten jüngst zu neuen Erkenntnissen über ihre Bedeutung und ihre Geschichte. Sülchen präsentiert sich nun als ein Bestattungsplatz, der bis in die Phase der Christianisierung Alamanniens zurückreicht.

Der älteste steinerne Vor­gängerbau der Sülchenkirche kann in die Zeit um 650/680 datiert werden. Die Sülchenkirche ist mit ihrem Friedhof und mit ihren frühmittelalterlichen Vorgängerbauten einer der herausragenden Orte der christlichen Geschichte im heuti­gen Baden-Württemberg.

Sülchen im Früh- und Hochmittelalter

Das frühmittelalterliche Sülchen existierte spätestens seit dem 5. Jahrhundert. Die Alamannen hatten sich nordöstlich der von den Römern verlassenen Stadt Sumelocenna angesiedelt. In der um 900 verfassten Vita des heiligen Meinrads wird der Sülchgau als dessen Heimat genannt. Der 861 ermordete Heilige, über dessen Einsiedelei 934 das Kloster Einsiedeln in der Schweiz gegründet werden sollte, entstammte einer lokalen Adelsfamilie.

Kurz nach der Jahrtausendwende werden die Hessonen als Grafen des Sülchgaus genannt. Sie verlegten um die Mitte des 11. Jahrhunderts ihren Herrschaftsmittelpunkt in den Raum Backnang. Der Sülchgau verlor zunehmend an Bedeutung, 1057 wird er letztmalig urkundlich erwähnt.

Nach der Gründung der Stadt Rottenburg

Im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts gelang es den Grafen von Hohenberg, im Raum um Sülchen Besitz zu erwerben. Sie gründeten 1280 die Stadt Rottenburg. Das Dorf Sülchen wurde nach und nach aufgegeben. Am Ende dieser Entwicklung sollten nur noch die Sülchenkirche und wenige ihr zugehörige Gebäude übrig bleiben und von der einstigen bedeutenden Siedlung zeugen. Mit dem Aufblühen der Stadt Rottenburg verlagerte sich die seelsorgerliche Betreuung der Einwohner rasch auf die Liebfrauenkirche. Bereits im 14. Jahrhundert wird der Sülchenpfarrer als „incuratus“, also als Priester ohne Seelsorgeauftrag, bezeichnet.

Die Beginenklause

Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts ist die Niederlassung einer Beginenklause in Sülchen belegt. Da die Klause über keine eigene Kapelle verfügte, nutzten die Schwestern, die seit 1384 dem Dritten Orden des heiligen Franziskus angeschlossen waren, die Sülchenkirche für ihre Gottesdienste.

Die Vermutung liegt nahe, dass die Beginen im Beerdigungs- und Totendienst, im Totengedenken und -gebet und in der Grabpflege auf dem Friedhof um die Kirche tätig waren.

Die Pfarrei Sülchen im Spätmittelalter

Im Laufe des 15. Jahrhunderts verstärkte sich die Tendenz, die immer noch bei der Sülchenkirche liegenden Pfarrrechte auf die Marktkirche in der Stadt zu übertragen. Umso erstaunlicher ist es, dass in den Jahren ab 1447 nochmals ein Neubau der Sülchenkirche in Angriff genommen wurde. Er fällt in eine Phase, in der die herrschaftlichen Verhältnisse in Bewegung geraten waren. 1410 war die seit 1381 zu Österreich gehörende Grafschaft Hohenberg an einen Zusammenschluss schwäbischer Reichsstädte unter der Führung Ulms verpfändet worden. Erst 1450 gelang es Erzherzog Albrecht VI. von Habsburg (1418–1463), die Grafschaft Hohenberg und deren Hauptstadt Rottenburg wieder gewaltsam an sich zu bringen. 1452 übergab er die Herrschaft Hohenberg als Morgengabe an seine Ehefrau Mechthild von der Pfalz (1419–1482). Die am Chorbogen der Sülchenkirche angebrachten Wappenschilde des Erzherzogtums Österreich und der Grafschaft Hohenberg weisen auf die Landesherrschaft als Bauherrn hin.

Die Sülchenkirche nach dem Verlust der Pfarrrechte

Der Prozess der Übertragung der Pfarrrechte auf die Marktkirche wurde durch den Neubau der Sülchenkirche nicht verhindert. 1491 kann die Translozierung der Pfarrrechte als abgeschlossen gelten. Auch wenn die Bezeichnungen in den zeitgenössischen Quellen noch längere Zeit schwankten, ist die Sülchenkirche seither kirchenrechtlich als eine Filialkapelle der Rottenburger Marktkirche anzusehen. Sülchen wurde nur noch mit einem Kaplan besetzt. Parallel zur Translozierung der Pfarrrechte kam es auch zur Übertragung des Patroziniums.

Die Sülchenkirche war eine Martinskirche gewesen, die Kapelle auf dem Markt ursprünglich eine Marienkirche („Liebfrauenkapelle“). In einem sich über Jahrzehnte hinziehenden Prozess ging das Martinspatrozinium auf die Marktkirche über, die erstmals 1436 urkundlich auch als „Martinskirche“ bezeichnet wurde. Für die Sülchenkirche ist umgekehrt seit dem 16. Jahrhundert das Patrozinium Johannes des Täufers belegt. Über den Verlust der Pfarrrechte hinaus behielt die Sülchenkirche ihre Funktion als Klosterkirche. Der Franziskanerinnenkonvent hatte im Dreißigjährigen Krieg unter Plünderungen und Zerstörungen zu leiden.

1631 galt die Klause als so zerstört, dass die Schwestern vorübergehend in der Stadt unterkommen mussten. 1643 verfügte die zuständige Tiroler Ordensprovinz die Zusammenlegung des Konvents mit der Oberen Klause in Rottenburg-Ehingen, sodass das klösterliche Leben in Sülchen erlosch.

Dauerhaft blieb der Sülchenkirche ihre Bedeutung als Friedhofskirche erhalten.

Die Sülchenkirche als bischöfliche Grablege

Mit der 1821 erfolgten Gründung eines württembergischen Landesbistums wurde Rottenburg Bischofssitz. 1828 wurde Johann Baptist Keller (1774–1845) als erster Rottenburger Bischof inthronisiert. Aus der einfachen Pfarrkirche St. Martin, der einstigen Marktkirche, wurde der Rottenburger Dom. Die katholische Tradition und das Kirchenrecht sehen für Bischöfe eine Bestattung in ihren Kathedralkirchen vor. Die ohne größeren baulichen Aufwand zum Dom erhobene Martinskirche verfügte allerdings über keine entsprechende Gruft. Als Bischof Keller 1845 starb, wurde er daher auf dem gewöhnlichen Friedhof in Sülchen bestattet, der nach der Aufhebung des Karmeliterklosters und der Auflassung des dortigen Friedhofs zum alleinigen Bestattungsplatz der Pfarrei St. Martin geworden war.

Ein erster Antrag des Domkapitels, wenn schon nicht unter dem Dom, dann wenigstens unter der Sülchenkirche eine Bischofsgruft einrichten zu dürfen, wurde vom württembergischen Staat mit Hinweis auf das grundsätzliche Verbot der Bestattung in Kirchen zunächst abgelehnt. Erst 1869 genehmigte die Regierung eine solche Gruft mit der expliziten Begründung, dass es in einem mehrheitlich protestantischen Staat im Sinne der Toleranz wünschenswert sei, auch die katholische Tradition zu achten. Die Einrichtung der Bischofsgruft unter dem Chor der Sülchenkirche markiert daher auch einen Schritt zur zunehmenden Gleichberechtigung der beiden christlichen Konfessionen im Königreich Württemberg. Sie erfolgte in Form einer architektonisch anspruchslosen Stollenkrypta.