Lena Kaapke

Installation (2021)
Porzellan, Glasur
120 × 700 cm

194 handgedrehte Krüge und 194 handgedrehte Trinkgefäße repräsentieren jeweils einen Nationalstaat der Erde.

Jeder Krug trägt einen eingeprägten Maßstab und eine farbig markierte Wasserstandslinie. Diese Linie markiert die Grenze des assoziierten Füllvolumens. Die Größe des Kruges symbolisiert die idealerweise vorhandene, benötigte Menge an sauberem und zugänglichem Trinkwasser, um alle Einwohner eines Landes ausreichend mit Trinkwasser zu versorgen. Ein eingeprägter Ländername ordnet den jeweiligen Wasserstand im einzelnen Krug einem spezifischen Land zu. Das durch die eingezeichnete Wasserstandslinie symbolisierte Füllvolumen zeigt die Prozentzahl der Einwohner, die tatsächlich Zugang zu Trinkwasser haben.

Die Größe des Trinkbehältnisses repräsentiert den tatsächlichen Trinkwasserbedarf aller Einwohner des jeweiligen Landes und zudem das Trinkwasserbedürfnis aller Bewohner der Erde.

Allen194 Krug-Trinkbehältnis Paaren ist ein unterschiedlich farbiger keramischer Wasserton zugeordnet. Die Blau-Grau-Grün Töne sind das Ergebnis einer Recherche zu unterschiedlichen natürlich gesammelten Wasserfarben; diese sind in der Glasur farbig nachgeahmt. Je mehr Trinkwasser in einem Land vorhanden ist, desto dunkler ist die Wasserfarbe, je weniger Trinkwasser vorhanden ist, desto heller ist die Farbe.

Die 194 Krüge sind installativ angeordnet. Daneben sind die 194 Trinkbehältnisse installativ angeordnet. Beide Anordnungen stehen sich gegenüber und sind gleichzeitig voneinander getrennt. Das Potenzial des Bedürfnisses, die Bewohner dieser Erde mit Trinkwasser zu versorgen steht der Realität entgegen. Das Bedürfnis und das Haben kontrastieren, ringen miteinander und bilden zugleich eine ästhetische Einheit.

Text: Lena Kaapke


Joscha Bender

Skulptur / Installation (2019)
Gips, Carrara Marmor, Holz, Stoff, Solnhofer Platten
200 × 100 × 140 cm

Die Installation zeigt eine Frauenfigur, die energisch einen Teig knetet. Ein kleiner Junge lehnt lässig daneben; das Gesicht wie Dürers „Melencolia“auf einen Arm auf den Tisch gestützt. In der anderen Hand hält er eine Nudelrolle.
Der Betrachter wird irritiert – denn die üblichen Wahrnehmungsregeln werden verletzt: Die handwerklich virtuos modellierten Figuren wirken in echter Kleidung zunächst wie lebendige Menschen. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass es Skulpturen sind.
Der cineastische Ausschnitt evoziert unmittelbar Erinnerungen an die eigene Jugend und wirft einen in die Sehnsüchte der Vergangenheit zurück. Zurück in den Moment, wo das Schlimmste, was passieren konnte, die Unterbrechung des Spiels mit Freunden war, weil man einen Teig mit der Mutter backen musste.

Die Mutterfigur durchbricht diese nostalgische Träumerei. Trotz ihrer entschlossenen Pose wirkt sie auch unsicher. Sie kämpft mit dem Teig, gegen den Teig – und mit der Rolle als Mutter? Was treibt sie an? Gegen was stemmt sie sich? Schrecklich isoliert erscheint sie und umso verletzlicher wirkt sie neben dem Kind, das von all dem nichts ahnt.
Diese Installation wurde am 13.7.2021 im Zuge der Einzelausstellung „Der sechste Sommer“ in der Galerie Peter Lethert in Bad Münstereifel aufgebaut – einen Tag später stand sie bereits unter Wasser. Die Galerie wurde im Erdgeschoss durch die Flutkatastrophe komplett zerstört. Unter Einsatz seines Lebens rettete Peter Lethert bei steigendem Wasserpegel noch Teile der Arbeit ins Obergeschoss: Die Skulptur des Jungenblieb unversehrt.
Wasser und Schlamm hinterließen ihre Spuren, der sinkende Wasserpegel lässt sich noch heute an der Installation ablesen – und damit auch die Hoffnung, auf ein Ende der Zerstörung. Die Bäckerin knetet entschlossen weiter und kämpft – nicht mehr nur ihren eigenen Kampf, sondern auch den gegen die großen Herausforderungen unserer Zeit.

Text: Joscha Bender


Clara Alisch

Videoinstallation (10:02 min) (2021)

Eine Frau sitzt auf einem ergonomischen Stuhl, gekleidet in hellgelber Arbeitskleidung und schaut aus dem Fenster. Sie schließt routiniert eine Milchpumpe an ihre freiliegende Brust an. Der Ort erinnert an eine Produktionshalle. Durch das Fenster scheint die Sonne. Das Geräusch der Pumpe erfüllt den Raum. Alles beginnt mit einem Tropfen. Jeder Tropfen zählt. Eine Milchproduzent*in bei der Arbeit.

Was wäre, wenn wir daran erinnert würden, wie vulnerabel unser Zustand zu Beginn unseres Lebens einmal war?

Lactoland performt mittels einer Videodarbietung die Umwertung weiblicher Milch, und führt sie in den ökonomischen Kreislauf ein. Die historische Entwicklung der Frauenmilch von einer ökonomischen Substanz hin zu dem, was wir gemeinhin als „Muttermilch“ bezeichnen, wird durch die Arbeit umgekehrt. Den Zuschauenden ist es möglich, Verfahrensweisen und Herstellung des Produktes von Lactoland ganz nah und interpassiv mitzuerleben. Lactoland demonstriert eindrücklich die Anstrengungen, die zur Herstellung des Produktes nötig sind. Zum Produktionsprozess gehören der Prozess des Milchpumpens, die räumliche Isolation, der Sound des Verfahrens und schließlich die Herstellung eines Bonbons aus der gewonnenen Milch. Lactoland arbeitet an einer konkreten Sicht- und Hörbarkeit von feminisierter Reproduktionsarbeit, die im Alltag oft in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten wie Eltern-Kind-Räumen, Sanitäranlagen oder zu Hause verborgen wird. Die Technologie der Milchpumpe verspricht die Einsparung von Zeit, jedoch wird die Mutter zur eigenen Amme des Kindes und hat am Ende die doppelte Arbeit, wodurch Lohnarbeit, Care-Arbeit und Freizeit zunehmend zu einem werden. Ein Lebensgefühl, das die Realität vieler Mütter widerspiegelt. Um die meist temporäre Angelegenheit der Brusternährung in eine Sichtbarkeit zu bringen, demonstriert Lactoland diesen Zustand nachhaltig, um so nach einer imaginativen Auflösung des Dilemmas (Weiblichkeit – Unabhängigkeit) zu forschen. Die alltäglichen Handlungen der Fürsorge durch die Brusternährung liegen im Fokus der künstlerischen Arbeit Lactoland. Ziel ist es, einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, der die Unsichtbarkeit von Care-Arbeit revidiert, und so neue Beziehungsmuster zu knüpfen und der Marginalisierung und Isolation von Care-Arbeit entgegen zu wirken. Der Milchtropfen mit seiner digital-abjekten Dynamik erscheint dabei vor unseren Augen und erreicht eine Öffentlichkeit. Wann sonst kommen wir schon einmal mit menschlicher Milch in Berührung, wenn nicht als Eltern, Kinder oder Care-Arbeiter*innen

Text: Clara Alisch