Wir machen Kunst in Krisenzeiten stark

Beim Katholikentag in Stuttgart sind ab 27. Mai in St. Maria erstmals prämierte Werke des Kunstwettbewerbs „Vulnerable – Verletzlich“ zu sehen.

Der Wettbewerb war auf eine große Resonanz gestoßen: Rund 600 Künstlerinnen und Künstler bewarben sich, 25 junge Kreative wurden ausgewählt. Sie setzten sich auf unterschiedlichste Art und Weise mit der Vulnerabilität, also der Verletzlichkeit, des menschlichen Lebens auseinander.

„Die Pandemie und zuletzt nun auch der Krieg in der Ukraine haben uns brutal aus vermeintlichen Selbstverständlichkeiten des Lebens herausgerissen“ sagt Weihbischof Dr. Gerhard Schneider, in dessen Zuständigkeit auch der Bereich Kunst in der Diözese Rottenburg-Stuttgart fällt. „Es fällt schwer, diese vielzitierte ‚Zeitenwende‘ in Worte zu fassen. Für uns als Kirche ist es wichtig, gerade in Krisenzeiten wie diesen die Kunst stark zu machen. Die Kunst bietet Wege an, sich in dem unbekannten und immer wieder unfassbaren Geschehen unserer Zeit auszudrücken, zu finden und zu orientieren – gerade auch dort, wo Worte dies nicht mehr vermögen.“

Mit einem Schritt zwei Kilometer Wegstrecke erzielen

Dementsprechend vielfältig sind die Werke auch in ihrer Darstellungsform. So zeigt Simon Pfeffel mit seiner Videoperformance „Mit einem Schritt“, mit der er einen der ersten Preise erzielen konnte, wie er die rund zwei Kilometer weite Strecke vom Stuttgarter Hauptbahnhof zu St. Maria mit nur einem Schritt zurückgelegt hat. „Dazu hat sich der Künstler das eine Bein nach oben gebunden und sich dann hüpfend und humpelnd durch die Königsstraße gekämpft“, berichtet Sebastian Schmid, Theologe und Kurator von St. Maria als, der neben neun weiteren Personen Teil der interdisziplinären Wettbewerbs-Jury war.

Schmid: „Simon Pfeffel war klar, dass er es ohne die Hilfe von Fremden nicht schaffen würde. Trotzdem hat er niemanden um Hilfe gebeten. Nur wenn sich die Stuttgarter Passanten und Passantinnen angeboten haben, ihn zu unterstützen, hat er sich tragen oder stützen lassen. In der Ausstellung sind Videoaufnahmen dieser eindrucksvollen Aktion zu sehen, in der er sich fremden Menschen ausgeliefert hat.“

Leitwort des Katholikentags steht auch für gemeinsam verletzlich sein

Die Leiterin des Diözesanmuseums in Rottenburg, Dr. Melanie Prange, die für den Wettbewerb verantwortlich und ebenfalls Jurymitglied war, freut sich, dass die Ausstellung nun während des Katholikentags eröffnet wird. „Zum Leitwort ‚leben teilen‘ des Katholikentags passen unsere Kunstwerke besonders gut, weil alle Menschen verletzlich sind, weil Verletzlichkeit geradezu das wesentliche Moment des menschlichen Daseins ist und Gott sich dieser Verletzlichkeit ausgesetzt hat. Gemeinsam sind wir verletzlich und besonders in der Gemeinsamkeit ebnen sich Wege zur Heilung. Das Motto des Katholikentags bringt wesentliche Gedanken unseres Wettbewerbs- und Ausstellungsthemas noch einmal auf den Punkt.“

Dass auch die Kirche selbst verletzlich ist, will Kriz Olbricht mit seinem Kunstwerk zeigen. Dafür hat er fünf Trennkeilgarnituren in die Wand von St. Maria geschlagen. Das handelt es sich um eine Art Nägel, die normalerweise Risse in Steinen erzeugen.

„Es hat viel Überzeugungsarbeit gekostet, bis der Künstler diese Trennkeile in die Wand der Kirche hauen durfte“, berichtet Schmid. „Allein die Vorstellung, es könnte ein Riss in der Kirchenwand entstehen, hat bei manchen fast schon Panik erzeugt. Am wenigsten Angst hatte die Gemeinde selbst.“ Der Kirchengemeinderat habe sofort verstanden, worum es Olbricht gehe. „Schließlich stehen die fünf Nägel im Altarraum für Fragen wie: Wie ernst nimmt die Kirche das Kreuz? Wagt sie es, sich selbst verletzlich zu machen? Riskiert sie die eigene Struktur, um sich auf die Seite der Verwundeten zu stellen?“, erläutert der Theologe weiter.

Ausstellung vom 27. Mai bis 24. Juli in Stuttgart zu sehen

Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung dürfen sich auf neun weitere Kunstwerke freuen, die vom 27. Mai bis 24. Juli in St. Maria zu sehen sind. Dr. Prange freut sich, dass die ausgestellten Werke zu neuen Sichtweisen anregen: „„Die Diözese hat sich bewusst dafür entschieden, eine Frage zu formulieren und sich von den Antworten junger Kreativer herausfordern zu lassen – sich also verletzlich und offen zu machen. Ganz besonders vor dem Hintergrund, dass Kirche selbst für schlimmste psychologische und körperliche Verwundungen verantwortlich zeichnet. Kreative ernst zu nehmen und ihnen keine Vorgaben zu machen, ermöglicht eine ernsthafte Beschäftigung mit religiösen Gehalten, biblischen Texten und existentiellen Fragen. Die künstlerischen Resultate sind überraschend, inspirierend, deutungsoffen und zeugen von der Tiefe der Auseinandersetzung. Ein Ergebnis, das für die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken von Kirche und Kunst zu betonen ist.“

Preisverleihung bei der Vernissage am 27. Mai

Die Preisverleihung des Vulnerable-Wettbewerbs findet bei der Vernissage der Ausstellung am Freitag, 27. Mai, um 19.30 Uhr mit Bischof Dr. Gebhard Fürst und den Mitgliedern der Jury in St. Maria statt. Dort wird auch ein Teil der Kunstwerke bis Sonntag, 24. Juli, ausgestellt.

Zusätzlich wird es zwischen dem 19. Juni und dem 28. August eine Tandemausstellung im Diözesanmuseum Rottenburg mit dem anderen Teil der prämierten Werke geben. Die Vernissage dieser Ausstellung mit Weihbischof Dr. Gerhard Schneider beginnt am Sonntag, 19. Juni, um 15 Uhr.

Weitere Informationen finden Sie online: https://dioezesanmuseum-rottenburg.de/vulnerable-preistraegerinnen/

v.l. Dr. Melanie Prange (Leitung Diözesanmuseum Rottenburg), Weihbischof Gerhard Schneider, Sebastian Schmid (Kurator „St. Maira als“).
Foto: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Eva Wiedemann


Mehr als Pauken und Trompeten

Pressemeldung

Stuttgart, 27. April 2022
Konzerte, Kino, Tanz, Kunst und Literatur, Ausstellungen, Kabarett und Theater – mehr als 200 kulturelle Veranstaltungen laden auf dem Katholikentag in Stuttgart zum Erleben und Staunen ein. Im Haus der Geschichte in Stuttgart stellten die Veranstalter diese Fülle heute vor. „Mit unserem Kulturangebot wollen wir fünf Tage lang die Atmosphäre des Katholikentags in die Stadt transportieren“, betont der Vorsitzende des Arbeitskreises Kultur des Katholikentags, Paul Magino. Eigens dafür wurden in einem Bewerbungsverfahren über 100 Bands, Chöre und Einzelkünstler:innen ausgewählt, die einen Großteil des Kulturprogramms gestalten werden.
Und: „Wir arbeiten mit vielen Kultureinrichtungen in der Stadt Stuttgart zusammen, etwa dem Linden-Museum, der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, dem Haus der Musik, der Staatsgalerie und dem Alte Schauspielhaus und werden die Stuttgarter Kulturszene für diese Zeit des Katholikentags deutlich bereichern.“ Einige Orte sind beim Katholikentag fest mit einer Sparte verknüpft: So werden sich etwa im Renitenztheater und im Gustav-Siegle-Haus Kabarettfreunde tummeln. Wer an Autorenlesungen interessiert ist, merke sich am besten den Wanner-Saal im Linden-Museum mit Lesungen von Anna-Katharina Hahn, Nora Bossong und Josef Haslinger.
Ausstellungen ermöglichen ganz eigene Einblicke, etwa „Unter die Haut – Mein Tattoo, meine Geschichte“ im Akademiegarten (unter freiem Himmel). Das umfangreichste und höchst aktuelle Projekt des Diözesanmuseums ist die Ausstellung „„Vulnerable – Verletzlich“ in St. Maria, in der die prämierten Arbeiten des gleichnamigen Kunstwettbewerbs der Diözese Rottenburg-Stuttgart – in Auswahl – präsentiert werden. Der Hintergrund: Die Corona-Pandemie und jüngst die kriegerischen Handlungen in der Ukraine führten uns unsere Verletzlichkeit deutlich vor Augen. Vulnerabilität ist ein wesentliches Moment des menschlichen Daseins, das schwächt, jedoch auch stärken kann. Bei der Aufgabenstellung hatte sich die Diözese bewusst dazu entschieden, die Frage nach Verletzlichkeit offen zu formulieren und sich von den Antworten junger Kreativer herausfordern zu lassen – sich also selbst verletzlich und offen zu machen. Ganz besonders vor dem Hintergrund, dass Kirche für schlimmste psychologische und körperliche Verwundungen an Kindern, Jugendlichen und queeren Menschen verantwortlich ist, wie jüngste Studien und Enthüllungen auf schockierende Weise verdeutlichten. Auf die Ausschreibung bewarben sich rund 600 Künstler:innen. Eingereicht wurden zeitgenössische Kunstformen wie Installationen, Video- und Soundarbeiten, Projektionen und Performances sowie Objekte der klassischen Bildkünste wie Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen.
Das umfangreichste Segment des Kulturprogramms auf de Katholikentag stellt die Musik dar – und diese wird an ganz verschiedenen Stellen in der Stadt erklingen. Hörgenuss bieten Gospelkonzerte, Pop und Rock, Neues Geistliches Lied, Orgelmusik und zeitgenössische Orchesterwerke. Ein besonderes Werk, das zudem zur Mitwirkung einlädt, ist die #coronation mass. Im Zentrum der Uraufführung steht Mozarts Krönungsmesse KV 317 als Sinnbild für Lebensfreude und Zuversicht. Darüber hinaus lässt die eigens entwickelte Klanginstallation jeden einzelnen Besucher schon vorab Teil des Ganzen werden – mit Hilfe seiner mit dem Smartphone individuell eingesungenen Voicemessage über die kurze musikalische Phrase „Dona nobis pacem“. Einfach nachsingen, +49 711 20 70 31 70 anrufen und auf die Mailbox singen oder als Sprachmemo aufnehmen und per Nachricht an coronation@katholikentag.de senden. Der Einsendeschluss für die Sprachnachrichten ist der 10. Mai.
Das umfangreiche Filmprogramm des Katholikentags richtet sich mit seinen Gesprächen nicht nur an interessierte Cineasten, sondern auch an Schüler:innen und Studierende und thematisiert aktuelle gesellschaftlich relevante Fragen. Etwa in dem Film mit Gespräch „Das unbekannte Mädchen“, in dem moralische Integrität und gesellschaftliche Gerechtigkeit thematisiert werden.
Kontakt:
Stephan von Kolson, Telefon: +49 175 4343485, E-Mail: presse@katholikentag.de

v.l.n.r.: Paul Magino, Prof. Jörg-Hannes Hahn, Eberhard Schwarz, Dr. Melanie Prange
Akkordeon: Nepomuk Golding


Glauben formen, Pracht gestalten

Wie durch Stoffe und Kleidung theologische Inhalte vermittelt werden, darum geht es in der dieser Ausgabe von „Alpha und Omega“.

Kleider machen Leute – und erzählen manchmal auch etwas über den Glauben der Menschen. Das ist Thema einer großen Mode-Ausstellung im Diözesanmuseum in Rottenburg am Neckar – und in „Alpha & Omega – Kirche im Gespräch“.

Prächtige Gewänder von Heiligen sind auf vielen Bildern zu bestaunen. Wie durch diese Stoffe theologische Inhalte vermittelt werden und Textilien das Heilige sozusagen greifbar machen, berichtet die Museumsleiterin Melanie Prange.

In Kooperation mit der Hochschule Pforzheim gestalteten außerdem für die Ausstellung Mode-Studierende zu bestimmten Kunstwerken eigene Kollektionen sowie liturgische Gewänder der Zukunft. Dabei wird deutlich, dass Religion und Mode vieles gemeinsam haben, wie die Pforzheimer Professorin Sybille Klose in der Sendung erläutert.

Sendung ansehen

Die von KiP-TV produzierte Sendung „Glauben formen, Pracht gestalten“ wurde erstmals am 30. April 2022 ausgestrahlt. Diese und weitere Folgen von „Alpha und Omega“ finden Sie auf dem YouTube-Diözesanmuseumskanal.

Im Gespräch über sakrale Kunst und textile Botschaften: Prof. Sybille Klose von der Pforzheimer Fakultät für Gestaltung, Dr. Melanie Prange, Leiterin des Rottenburger Diözesanmuseums, und Moderator Christian Turrey.

Bild: KiP-TV


Kooperation mit der Hochschule für Kirchenmusik

Bedeutungsvoll

Ab dem 11. April wird im neu gestalteten Foyer der Rottenburger Hochschule für Kirchenmusik die Glas- und Eisenskulptur „Bedeutungsvoll“ von Susanne Röwer zu sehen sein. Das 2021 entstandene Kunstobjekt wurde vom Diözesanmuseum für das neue Tätigkeitsfeld „Zeitgenössische Kunst und Kunstvermittlung“ erworben. Dieser Bereich widmet sich Künstlern der Gegenwart, vermittelt ihre Werke und bringt sie in einen Dialog mit der christlichen Ikonographie vergangener Kunstepochen. Die Hochschule wird solche modernen Museumsstücke künftig regelmäßig präsentieren und so in ihren Räumen einen Begegnungsort  auch für die bildende Kunst schaffen.

Röwers Skulptur wird zum ersten Mal in Rottenburg gezeigt. Die Künstlerin, die mit ganz unterschiedlichen Gattungen wie Metall, Glas, Stein oder Papier arbeitet und international ausstellt, verbindet die Werkstoffe auf eindrucksvolle Weise. Auch das Rottenburger Kunstobjekt, ein Fremdkörper im minimalistischen Foyer, lässt den Besucher innehalten. Fast organisch scheint es über einem flachen Sockel zu schweben, aufzusteigen, zu kriechen. Eisenwindungen, mit spitzen Dornen versehen, bilden über drei tastenden Fühlern einen Ring; darin eine rötliche Blase aus Glas. Tief schneiden die Dornen in die durchscheinende Oberfläche, als müsste sie jeden Augenblick zerspringen. Gleichzeitig passt sich die Blase den Dornen an, umschließt sie teilweise, scheint zu wabern und zu pulsieren.

Die erste Assoziation, die dem Betrachter in den Sinn kommt, ist vermutlich die Dornenkrone. Sinnbild höchsten Leidens, der Verspottung Christi, aber auch Auszeichnung und Symbol seines Königtums, seiner Allmacht. Die Krone heißt im Lateinischen „corona“, ein heute omnipräsenter Begriff mit ganz anderer Bedeutung. Auch Corona ist für viele Menschen zu einem Symbol für Leid geworden, lässt nach wie vor aber auch viele Menschen über sich hinauswachsen, zeichnet sie aus. In der Skulptur verbinden sich Sinnbilder und Sichtweisen; Eisen und Glas, Härte und Zerbrechlichkeit, beide im Feuer geformt, begegnen sich in lebendigem Zusammenspiel. Die Skulptur regt zum Nachdenken an und eröffnet dem Besucher Bedeutungsvolles, in der Karwoche und darüber hinaus.

Um eine Anmeldung im Sekretariat (Tel.: 07472/169-820) zur Besichtigung der Skulptur wird gebeten.


9. Rottenburger Kulturnacht

Wach bleiben!

Das Diözesanmuseum Rottenburg beteiligt sich auch dieses Jahr an der Gestaltung der Kulturnacht in Rottenburg.
In Kooperation mit der Diözesanbibliothek findet um 17 Uhr ein Vortrag von Dr. Christian Seitz statt. Unter dem Titel „Theologie und Naturwissenschaft im Streit“ wird der fruchtbare Austausch zwischen den Disziplinen beleuchtet.
Im Anschluss finden zwei Konzerte des Vokalensembles TonArt statt. Weltliche sowie geistliche Musik wird dabei bunte Klangteppiche in den Räumen des Museums entfalten.

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Im Namen der Rose – bis in den Tod

Bei Ausgrabungen hat man Gräber aus dem 17./18. Jahrhundert entdeckt. Darin auch enthalten: Rosenkränze. Matthias Raidt erklärt diese Funde auf seine eigene und sehr interessante Art und Weise.

Das Video ist Teil der Reihe Schätze aus der Sülchenkirche.

Das Diözesanmuseum gestaltet den Katholikentag mit

Katholikentag 2022 in Stuttgart

Das Diözesanmuseum gestaltet mehrere Kulturveranstaltungen auf dem Katholikentag mit. Es lohnt sich also um so mehr, Ende Mai nach Stuttgart zu kommen. Der Eintritt zu den Veranstaltungen ist über die Tickets zum Katholikentag möglich.

Veranstaltungen des Diözesanmuseums auf dem Katholikentag


Mariä Himmelfahrt: Durch tiefblaue Sphären in lichtgoldene Höhen

Die 1927 geweihte Kirche Mariä Himmelfahrt in Baienfurt bei Weingarten stellt als expressionistischer Sakralbau an sich bereits eine Besonderheit dar: Inmitten der barocken Kirchenlandschaft Oberschwabens gelegen, mutet sie geradezu exotisch an. Während der Außenbau sich zurückhaltend gibt, taucht der fremde Besucher, sobald er das Kirchenschiff betritt, in eine ungewöhnliche und überwältigende Welt ein. Es herrscht ringsum ein dunkles nuancenreiches Blau, das zudem je nach Lichteinfall und Tageszeit ihn als Ultramarinblau, Blaugrün oder Blauviolett umhüllt und verzaubert. Und so bezeichnet die einheimische Bevölkerung ihre Pfarrkirche auch stolz als „unsere blaue Grotte“.

Grundriss
Der Grundriss zeigt einen in Westostrichtung angelegten rechteckigen dreischiffigen Längsbau, ein lediglich angedeutetes Querschiff und einen leicht vorspringenden Vorbau im Westen. Der schmale eingezogene Chor mit quadratischer Grundfläche im Osten wird seitlich von Baukörpern mit ebenfalls quadratischer jedoch kleinerer Grundfläche gerahmt: Im Norden der Turm und im Süden die Sakristei.

Außenbau
An dem gestaffelt gegliederten Baukörper mit hoher ebenfalls abgestufter dreiseitiger Walmbedachung fällt zunächst die Westfassade mit ihrer monumentalen in Parabelform überwölbten Nische auf. Die Fenster betonen mit ihrer extremen Schmalheit die Vertikale. An der Nord- und Südfassade sind sie zu gestaffelten Dreiergruppen zusammengefügt. Die in rötlichem Ocker gefasste Rahmung aller Fenster mit ihren überlängten Laibungen und Stürzen kontrastieren zum hellen Rauhputz und dessen horizontalen Ritzfugen.

Innenraum
Dem schmalen Eingangsraum und dessen Nebenräumen, über die sich die Empore erstreckt, folgt der breite und hohe Gemeinderaum. Jeweils fünf Parabelbögen ruhen auf gestreckten Konsolen und verbinden das Hauptschiff mit den Seitenschiffen. Diese sind so schmal, dass sie lediglich Umgangscharakter haben. Das Gewölbe des Hauptschiffes erinnert an spätgotische Netzgewölbe: Es gliedert sich in seiner Längsachse in vierzehn gefaltete und mit Stabwerk besetzte Flächenbahnen, die von den Gurtbogengesimsen rhythmisch in Teilstücke getrennt sind.
Den um sieben Stufen erhöhten Chorraum trennt wiederum ein parabelförmiger Triumphbogen vom Gemeinderaum. Dieser Bogen wiederholt sich in mehrfacher Abstufung an der Chorabschlusswand, einen Baldachin assoziierend.
Innenraum bestimmende Momente sind Farbgebung und Lichtführung. Im Chorraum fällt, für die Besucher nicht sichtbar, Licht durch die südlichen Chorwandfenster ein.
Die farbliche Gestaltung der Wandflächen ist in doppelter Hinsicht alles andere als eintönig: Die blaue Farbe hellt sich in den Seitennischen, an der Empore und im Bereich der Seitenaltäre zu Grau auf und geht im Chor zu Blau-Violett über. Und der Farbauftrag ist nicht gleichmäßig, sondern mit andersfarbigen Winkelformen bewusst fleckig und diffus gestaltet.

Liturgie und Raum: Zur Ausstattung
Die farbige Wandgestaltung in Blautönen, das Fresko der Chorabschlusswand, die Kreuzwegdarstellungen sowie die Entwürfe für die Glasfenster schuf der Maler Alois Schenk. Blau verweist auf Maria, die Titelheilige der Kirche. Das Gemälde über dem Hauptaltar ist eine Bildsynthese von Mariä Himmelfahrt und Marienkrönung: Hier lichtet sich das ferne Blau, Maria wird von goldgelben Sphären umflutet.
Sowohl die architektonische Formgestaltung mit der Betonung der breiten, die Gläubigen zur Gänze aufnehmenden, und auf den Hochaltar von 1927 ausgerichteten Längsachse als auch das die Ostwand füllende monumentale Gemälde sind Ausdruck damaliger Frömmigkeit und eines gewandelten Gemeindeverständnisses: Die Kirche solle sowohl als Gemeinschaft als auch als Bauwerk ganz auf Christus den König bzw. im Falle der Marienkirchen auf Maria als Königin konzentriert sein.
Die 1999 vom Künstler Joachim Sauter eingefügte Altarinsel mit Ambo und Zelebrationsaltar greift diesen Gedanken auf. Der Altar wurde in Anlehnung an die kristallinen Lampenformen und an das intensive Blau der umgebenden Wände aus dunkelblauem Quarzit gestaltet.
Der Kreuzweg, den Alois Schenk zur Gänze erst 1934 vollenden konnte, zeigt kantige und herbe Gestalten mit gebrochenen und verzerrten Formen. Die rahmenlose Wandmalerei an den Seitenschiffwänden sprengt den Raum.

Architekt
Der Architekt A. Otto Linder (1891-1976) schuf nach dem Ersten Weltkrieg insbesondere im Bistum Rottenburg-Stuttgart Kirchen, die ein neues Liturgieverständnis verkörpern sollten: Im Gemeinderaum rückte er die Stützen nach außen und setzte den erhöhten Chor deutlich davon ab, damit Altar und Kanzel von allen gut eingesehen werden konnten. Nachdem Linder erste Erfahrungen im Kirchenbau unter anderem in Gosbach und Mühlacker gesammelt hatte, konnte er diesen Ansatz in Baienfurt erstmals konsequent umsetzen. Das hier prägende Motiv der Parabel findet sich in seinem Werk z. B. auch bei der Heilig-Kreuz-Kirche (1927) in Kuchen bei Geislingen, bei Mariä Himmelfahrt (1929) in Klein-Süßen bei Göppingen und bei der Taborkirche (1931) in Freudenstadt.

Kirchenmaler
Dem Maler Alois Schenk (1888–1949) hatte das Handwerk der Dekorationsmalerei erlernt, daneben besuchte er Abendkurse an der Stuttgarter Kunstakademie. Seine dortigen Lehrer Christoph Landenberger, Adolf Hölzl und Friedrich von Keller waren allesamt Vertreter des Expressionismus. Besonders herausragend ist sein Kreuzweg in Röhlingen von 1919–1922.

Fazit
Die ausdrucksvolle Architektur mit ihrer Lichtführung und die malerische Gestaltung machen die Kirche einzigartig. Architektur, Malerei und Ausstattung sind bis ins Detail aufeinander abgestimmt und steigern sich gegenseitig in ihrer expressionistischen Wirkung zu einem Gesamtkunstwerk.

Dr. Iris Dostal-Melchinger

Finissage | »To Know A Form, You Have To Work It«

Künstler: Frederick D. Bunsen
Referent: Prof. Dr. Dirk Baecker, Lehrstuhl für Kulturtheorie und Management, Universität Witten/Herdecke

Eine Aufzeichnung der Online-Finissage können Sie hier direkt auf unserer Seite oder im Youtube-Kanal des Diözesanmuseums Rottenburg ansehen.


„Ante saecula“ – Liturgische Musik aus dem frühen Mittelalter

Zur Finissage der Ausstellung „In unserer Erde. Grabfunde des Frühen Mittelalters im Südwesten“ präsentiert die Schola Cantorum am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Morent im Livestream ein kleines Programm, das ursprünglich zur musikalischen Umrahmung der Vernissage der Ausstellung vorgesehen war.

Zwar ist aus der Zeit der Grabungsfunde aus dem frühen Mittelalter keine direkte schriftliche musikalische Überlieferung erhalten, der Prozess der einsetzenden Christianisierung führt aber auch im deutschen Südwesten schnell zur Etablierung religiöser Zentren, wie dem Inselkloster Reichenau im Bodensee oder dem Kloster St. Gallen. Aus ihnen stammen auch mit die frühesten musikalischen Quellen zum liturgischen Gesang, dem so genannten Gregorianischen Choral, die sowohl die Feier der Messe als auch des Stundengebets prägten und strukturierten.

Die Kontaktflächen zwischen heidnischen Traditionen und Christianisierung reflektiert das „Georgslied“, das in althochdeutscher Sprache zwar das Vorbild des Heldenepos erkennen lässt, es aber christlich überformt. Es entstand wohl nicht auf der Reichenau, korrespondiert aber mit der Verehrung des Heiligen dort.

Nach St. Gallen führt zum Schluss die Weihnachtssequenz von Notker Balbulus, dem „Stammler“, der dort als wortmächtiger Dichter-Musiker im späteren 9. Jh. wirkte.

 

Künstler

Schola Cantorum
am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Tübingen
Ltg.: Prof. Dr. Stefan Morent
Sänger: Michael Braunger, Alexander Goossenns, Stefan Morent, Samuel Schick, Tilo Schmid-Sehl, Janis Tortora

Programm

  • Introitus Statuit ei dominus
  • Kyrie in summis
  • Georgslied
  • Alleluia Dies sanctificatus
  • Notker Balbulus (840–912): Sequenz Natus ante saecula

(sämtliche Transkriptionen und Arrangements aus den mittelalterlichen Handschriften von Stefan Morent)

Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Eine Aufzeichnung der Online-Finissage können Sie hier direkt auf unserer Seite oder im Youtube-Kanal des Diözesanmuseums Rottenburg ansehen.